Trendanalyse und Momentum-Strategien
Von Gil Blake, Chefanalyst des QuantumCompute Handelsinstituts
Liebe Anlegerinnen und Anleger,
in meinen drei Jahrzehnten als aktiver Trader habe ich zahlreiche Anlagestrategien analysiert und angewendet. Eine Methode hat sich dabei durchgängig als besonders effektiv erwiesen: das Investieren mit dem Trend durch Momentum-Strategien. Heute möchte ich mit Ihnen teilen, warum Momentum funktioniert, wie Sie es identifizieren können und wie Sie diese Erkenntnisse gewinnbringend in Ihre Anlagestrategie integrieren können.
Warum Trends und Momentum funktionieren
Viele Anleger haben ein falsches Verständnis von effizienten Märkten. Entgegen der reinen Theorie bewegen sich Märkte selten sofort zu ihrem “fairen Wert”, sondern folgen oft über längere Zeiträume bestimmten Trends. Dies hat mehrere Gründe:
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Psychologische Faktoren: Herdenverhalten, Überreaktion und Unterreaktion auf neue Informationen sowie kognitive Verzerrungen beeinflussen Anlageentscheidungen.
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Institutionelle Faktoren: Große Investoren können Positionen nicht sofort aufbauen oder abbauen, was zu graduellen Preisbewegungen führt.
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Informationsasymmetrie: Neue Informationen verbreiten sich nicht gleichzeitig an alle Marktteilnehmer.
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Selbstverstärkende Effekte: Steigende Kurse ziehen oft weitere Käufer an, fallende Kurse führen zu verstärkten Verkäufen.
Diese Faktoren führen zu einer zentralen Erkenntnis: Preisbewegungen tendieren dazu, sich fortzusetzen – ein Phänomen, das wir als Momentum bezeichnen.
Arten von Momentum-Strategien
In meiner Trading-Praxis unterscheide ich zwischen verschiedenen Arten von Momentum:
1. Preis-Momentum
Die einfachste Form des Momentums basiert auf der Preisentwicklung selbst:
Grundprinzip: Wertpapiere, die in der jüngeren Vergangenheit (typischerweise 3-12 Monate) überdurchschnittlich performt haben, tendieren dazu, auch in der nahen Zukunft überdurchschnittlich zu performen.
Klassischer Ansatz: Rangliste von Aktien nach ihrer Performance der letzten 6 oder 12 Monate, wobei der letzte Monat oft ausgeschlossen wird, um kurzfristige Umkehreffekte zu vermeiden.
In meiner Praxis habe ich festgestellt, dass eine Kombination aus mittelfristigem Momentum (6-12 Monate) und kurzfristiger Stärke (positive Entwicklung der letzten 2-4 Wochen) besonders wirkungsvoll ist.
2. Fundamentales Momentum
Während Preis-Momentum auf Kurshistorie basiert, fokussiert sich fundamentales Momentum auf die Dynamik der geschäftlichen Entwicklung:
Grundprinzip: Unternehmen, deren fundamentale Kennzahlen sich verbessern (z.B. Gewinnwachstum, Margenausweitung), tendieren dazu, überdurchschnittliche Renditen zu erzielen.
Schlüsselindikatoren:
- Positive Gewinnrevisionen durch Analysten
- Beschleunigendes Umsatz- und Gewinnwachstum
- Verbesserung der operativen Margen
- Übertreffen der Markterwartungen
Meine Erfahrung zeigt: Die Kombination aus Preis-Momentum und fundamentalem Momentum ist besonders kraftvoll. Aktien mit beiden Arten von Momentum übertreffen den Markt mit höherer Wahrscheinlichkeit.
3. Relatives Momentum
Relatives Momentum vergleicht die Performance eines Wertpapiers mit dem Gesamtmarkt oder einer relevanten Vergleichsgruppe:
Grundprinzip: Wertpapiere, die relativ zu ihrer Vergleichsgruppe stärker sind, behalten diese relative Stärke oft bei.
Anwendung:
- Sektorrotation: Übergewichtung von Sektoren mit überdurchschnittlicher Performance
- Länderallokation: Fokus auf Märkte mit relativer Stärke
- Stilrotation: Wechsel zwischen Growth und Value basierend auf relativer Performance
Diese Form des Momentums ist besonders effektiv für taktische Asset-Allokation-Entscheidungen.
Meine bewährte Momentum-Methodik
In meinen drei Jahrzehnten als aktiver Trader habe ich eine strukturierte Methodik entwickelt:
Schritt 1: Multi-Timeframe-Analyse
Ich analysiere Momentum auf drei Zeitebenen:
- Langfristig (1-2 Jahre): Identifiziert den übergeordneten Trend
- Mittelfristig (3-6 Monate): Hauptsignal für Positionierung
- Kurzfristig (2-4 Wochen): Timing für Ein- und Ausstieg
Ein idealer Momentum-Trade zeigt Stärke auf allen drei Zeitebenen.
Schritt 2: Quantitative Momentum-Filter
Ich nutze verschiedene Indikatoren, um Momentum objektiv zu messen:
- Rate of Change (ROC): Misst die prozentuale Preisänderung über einen definierten Zeitraum
- Relative Strength Index (RSI): Besonders wertvoll in der Wochen- und Monatsbetrachtung
- Moving Average Convergence Divergence (MACD): Identifiziert Trendänderungen und Momentum-Verschiebungen
- Relative Strength vs. Index oder Sektor: Zeigt, ob ein Wertpapier den Markt oder seinen Sektor übertrifft
Ein Wertpapier sollte in mindestens drei dieser Metriken überdurchschnittliche Werte aufweisen, um in meine engere Auswahl zu kommen.
Schritt 3: Volumenbestätigung
Echtes Momentum wird durch steigendes Handelsvolumen bestätigt:
- On-Balance-Volume (OBV): Sollte mit dem Preistrend übereinstimmen
- Volume Price Trend Indicator: Zeigt, ob Volumenzunahme mit Preisanstiegen korreliert
- Chaikin Money Flow: Misst den Kaufdruck
Volumen ist der “Treibstoff” eines Trends – ohne ausreichendes Volumen ist ein Trend anfälliger für Umkehr.
Schritt 4: Fundamentale Validierung
Ich überprüfe, ob das Preis-Momentum durch fundamentale Verbesserungen unterstützt wird:
- Positive Gewinnüberraschungen in den letzten 1-2 Quartalen
- Aufwärtsrevisionen der Analystenschätzungen
- Verbesserung der Gewinnmargen
- Beschleunigung des Umsatzwachstums
Ein “perfekter” Momentum-Kandidat zeigt sowohl technisches als auch fundamentales Momentum.
Schritt 5: Einstiegs- und Ausstiegsstrategie
Timing ist entscheidend für den Erfolg von Momentum-Strategien:
Einstiegspunkte:
- Ausbrüche aus Konsolidierungsphasen mit erhöhtem Volumen
- Pullbacks zu wichtigen gleitenden Durchschnitten (z.B. 20-Tage oder 50-Tage)
- Relative Stärke während allgemeiner Marktschwäche
Ausstiegspunkte:
- Verlust der relativen Stärke
- Bruch wichtiger technischer Unterstützungsniveaus
- Divergenzen zwischen Preis und Momentum-Indikatoren
- Erreichen extremer Überkaufniveaus kombiniert mit nachlassendem Momentum
Risikomanagement bei Momentum-Strategien
Momentum-Strategien haben spezifische Risiken, die ein angepasstes Risikomanagement erfordern:
1. Positionsgrößenmanagement
Ich empfehle, nie mehr als 1-2% des Portfolios pro Position zu riskieren, wobei die Positionsgröße umgekehrt proportional zur Volatilität sein sollte.
2. Trailing-Stop-Loss-Strategie
Bei Momentum-Trades setze ich Trailing-Stops, die dem Kurs nach oben folgen:
- Initial 7-10% unter dem Einstiegspreis
- Nach 10% Gewinn: Anheben des Stops auf den Einstiegspreis (“Break-even”)
- Danach: Stop-Loss folgt dem Kurs mit definiertem Abstand (oft basierend auf der Average True Range)
3. Teilgewinnmitnahmen
Ich nehme typischerweise Teilgewinne bei:
- 25% Kursgewinn: 25% der Position verkaufen
- 50% Kursgewinn: weitere 25% verkaufen
- Rest mit Trailing-Stop weiter halten
4. Korrelationsmanagement
Momentum-Aktien in ähnlichen Sektoren tendieren dazu, hoch korreliert zu sein. Ich achte darauf, dass mein Portfolio diversifiziert bleibt, indem ich die Gesamtgewichtung stark korrelierter Positionen begrenze.
Praxisbeispiel: Meine Momentum-Screening-Routine
Um Ihnen einen praktischen Einblick zu geben, teile ich meine wöchentliche Screening-Routine:
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Universum definieren: Ich filtere aus dem Gesamtmarkt Aktien mit ausreichender Liquidität und Marktkapitalisierung.
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Performance-Filter: Ich sortiere nach der Performance der letzten 6 Monate und fokussiere mich auf das obere Quartil.
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Relative-Stärke-Filter: Ich prüfe, welche dieser Aktien auch in den letzten 4 Wochen relativ zum Markt stark waren.
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Volumenfilter: Ich eliminiere Aktien, deren Volumentrend nicht mit dem Preistrend übereinstimmt.
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Fundamentaler Check: Ich überprüfe, ob die verbleibenden Kandidaten positive Ergebnistrends und Analysteneinstufungen aufweisen.
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Chartanalyse: Für die Top-Kandidaten analysiere ich die Charts im Detail, um optimale Einstiegspunkte zu identifizieren.
Diese Routine dauert etwa 2-3 Stunden pro Woche, liefert aber regelmäßig überzeugende Handelsgelegenheiten.
Häufige Fehler bei Momentum-Strategien
Aus meiner Erfahrung möchte ich Sie vor diesen häufigen Fehlern warnen:
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Zu früher Einstieg: Warten Sie auf klare Bestätigung des Momentums, anstatt zu versuchen, den absoluten Boden zu treffen.
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Zu spätes Aussteigen: Momentum kann sich schnell umkehren. Setzen Sie klare Ausstiegsregeln und halten Sie sich daran.
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Vernachlässigung des Marktumfelds: Momentum-Strategien funktionieren am besten in starken Aufwärtsphasen des Gesamtmarktes.
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Unzureichende Diversifikation: Vermeiden Sie zu viele hoch korrelierte Momentum-Positionen.
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Ignorieren von Extremwerten: Extrem überkaufte Zustände erhöhen das Risiko plötzlicher Korrekturen.
Fazit: Momentum als Teil Ihrer Anlagestrategie
Momentum ist keine Modeerscheinung, sondern ein wissenschaftlich gut dokumentiertes Phänomen, das auf fundamentalen Aspekten menschlichen Verhaltens und institutionellen Marktstrukturen basiert. Es ist einer der wenigen Anomalien, die auch nach ihrer Entdeckung weiterhin profitabel geblieben sind.
Ich empfehle jedoch, Momentum nicht als alleinige Strategie zu verfolgen, sondern als Komponente einer ausgewogenen Anlagestrategie einzusetzen. Die Kombination aus Value-Investing für unterbewertete Qualitätsaktien und Momentum für das Timing kann besonders effektiv sein.
Denken Sie daran: Die Märkte werden von Menschen bewegt, und menschliches Verhalten ändert sich nur langsam. Solange Angst, Gier, Herdenverhalten und kognitive Verzerrungen existieren, werden auch Trends und Momentum bestehen bleiben.
Ich hoffe, diese Einblicke helfen Ihnen, das Konzept des Momentums besser zu verstehen und effektiv in Ihre Anlagestrategie zu integrieren. Wenn Sie Fragen zur praktischen Umsetzung von Momentum-Strategien haben oder Unterstützung bei der Identifizierung aktueller Momentum-Chancen benötigen, steht Ihnen unsere Assistentin Anna Keller gerne zur Verfügung.
Mit den besten Wünschen für Ihren Anlageerfolg,
Gil Blake
Chefanalyst
QuantumCompute Handelsinstitut